Historische Massenmedien-Wirkungsforschung


Material: R. Burkart: Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft. S. 186-197 & S. 215-236, Stuttgart 2002.

Der Text der zweiten Abgabe für “Grundlagen der Kommunikations- Medientheorie”. Die anderen Abgaben findest du hier

AUFGABE 2.1

Erläutern Sie das Black-Box-Modell der Medienwirkungsforschung und erläutern Sie, weshalb dieses Modell die Realität der Mediennutzung nicht zutreffend beschreibt.

Das Black-Box-Modell Medienrezeption im Sinne des Behaviourismus als Stimulus-Response-Mechanismus dar, bei der Rezipient*innen auf einen gegebenen Stimulus als Input, aufgrund angeborener Instinkte, mit einem bestimmten/deterministischen Response als Output reagieren. Dabei werden Unterschiede zwischen einzelnen Menschen, e.g. in ihren Einstellungen, ignoriert und sie werden als passive Empfänger*innen dargestellt. Siehe im Vergleich dazu auch den Uses-Gratification Ansatz und das Konzept des aktiven Publikums, sowie die intervenierenden Faktoren nach Klapper, die in 2.2 und 2.3 beschrieben werden.

Aus dem Black-Box-Modell beziehungsweise der Instinkttheorie entstand zur deren Höhepunkt auch der Eindruck der Omnipotenz der Medien.

AUFGABE 2.2a

Erläutern Sie a) den Uses-and-Gratification-Ansatz…

Der Uses-and-Gratification-Ansatz stellt die Legitimität der Frage nach der Wirkung der Medien in Frage. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass ein aktives Publikum (siehe 2.2b) Medienprodukte als Gratifikationsinstanzen verwendet um die individuellen Bedürfnisse zu decken. Dabei können Medienrezipient*innen selbst bei gleichem Inhalt unterschiedliche Bedürfnisse abdecken, mit ihren bisherigen Lebenserfahrungen als Kontext. Wichtig dabei ist auch, dass Medienprodukte nur ein Weg der Gratifikation unter vielen sind.

Im Kontrast zum Stimulus(-Organism)-Response in einem (erweitertem) Black-Box-Modell wird hierbei der Fokus ganz klar auf den “Organismus”, i.e. die Rezipient*innen gelegt. Im eigentlichen Sinne ist etwa die Frage auch nicht “was machen die Medien mit den Menschen”, sondern eher “Was machen die Menschen mit den Medien” (Katz/Foulkes 1962, S. 378)

Der Uses-and-Gratifikation-Ansatz beziehungsweise Nutzenansatz basiert dabei auf dem Symbolischen Interaktionismus, der davon ausgeht, dass Bedeutung und Symbole durch Interaktion erwachsen und Dingen nicht immanent sind. In diesem Sinne kann jedem Inhalt auf verschiedenste Weisen Bedeutung beigemessen werden und diese kann sich im Lauf der Zeit auch verändern.

Zusätzlich ist zu beachten, dass zwischen erwünschter und erhaltener Gratifikation unterschieden werden kann. Palmgreen (1984, S. 56) modelliert dabei die Zusammenhänge wie folgt: Aus Erwartung, i.e. Wahrscheinlichkeit der Gratifikation und Bewertung der Qualität derselben folgt welche Gratifikationen gesucht werden, woraus wiederum die spezifische Mediennutzung folgt. Als Resultat der dann wahrgenommenen erhaltenen Gratifikation werden wiederum die Erwartungen angepasst.

Eine andere Unterscheidung der Gratifikationen bietet Schenk 1987. Er unterscheidet dabei ob Medien rezipiert werden zwecks

  • Ablenkung und Zeitvertreib,
  • zur Identifikation, Projektion oder Legitimierung persönlicher Identität und Lebensumstände,
  • als para-soziale Beziehungen oder Unterstützung tatsächlicher persönlicher Beziehungen (e.g. in Form von Gesprächsstoff oder gemeinsamer Medienzuwendung)
  • oder aber auch zwecks eines Gefühls der Kontrolle über die Umwelt (e.g. “informiert sein”).

Mit dem Uses-and-Gratifikation-Ansatz hat sich auch die das “Wozu?” der Massenkommunikationsforschung verändert. Medienproduzent*innen liegt es nun nahe, sich auf “ihr” Publikum einzustellen, für Rezipient*innen bieten sich relevantere Inhalte, und die Qualität des Massenkommunikationsprozesses wird beurteilbarer, was e.g. für die Medienpolitik von Interesse ist. Zusätzlich stellt sie nun eine Form indirekten Feedbacks dar, das in der Massenkommunikation sonst üblicherweise fehlt.

AUFGABE 2.2b

… und b) den Ansatz des „aktiven Publikums“

Statt wie im Black-Box-Modell (siehe 2.2a) Rezipient*innen als passive, Instinkt-bestimmte Entitäten zu modellieren, betrachtet der Ansatz des “aktiven Publikums” diese als absichtsvoll und zielgerichtet handelnde Akteure, die intentional einzelne Medien nutzen und diese auch Aktualisieren beziehungsweise Thematisieren, e.g in Gesprächen mit anderen. Diese Zielgerichtetheit ergibt sich nicht nur aufgrund von Einstellungen und Erwartungen der Rezipient*nnen, sondern auch aufgrund ihrer individuellen Bedürfnislagen (siehe Uses-and-Gratification Ansatz unter 2.2a). Wie oben auch bereits erwähnt, stehen die Massenmedien als Gratifikationsinstanzen dabei in Konkurrenz zu anderen (gleichwertigen) Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung.

AUFGABE 2.3

Erläutern Sie die Verstärkungshypothese im Kontext der Medienwirkungsforschung.

Diese Hypothese nimmt an, dass Medienwirkung hauptsächlich verstärkend wirkt, daher existierende Einstellungen verstärken aber nicht umkehren kann. Tendenziell, nur wenn keine eigenen Meinungen zu einem Thema existieren, ergibt sich neue Meinungsbildung. Dabei spielen einige von Josef Klapper 1960 identifizierte Faktoren eine Rolle, die entweder bei vorhandener Medienwirkung entweder jeweils nicht vorhanden waren oder die Wirkung unterstützt haben. Im spezifischen listet Klapper dabei

  • die persönliche Einstellung der Rezipient*innen (die sich in selektiver Zuwendung, selektiver Wahrnehmung und Interpretation nach existierenden Anschauungen sowie selektivem Behalten niederschlägt)
  • die Existenz und Stabilität von jeweiligen Gruppennormen
  • die Verbreitung durch interpersonelle Kommunikation zwischen Gleichgesinnten
  • die Konkurrenz um und durch “Opinion Leaders” (die als Relais agieren und üblicherweise besonders gruppenkonform sind)
  • sowie die Einbettung der Medien in den ökonomischen Kontext (der Produzierende üblicherweise dazu zwingt zu kommunizieren “was sich gut verkauft” beziehungsweise generell auch die Struktur der Massenmedien vorgibt)

AUFGABE 2.4

Was sind die zentralen Kritikpunkte am Uses-and-Gratification-Ansatz? Und: Erläutern Sie, inwiefern die Vorstellung von der „Medienwirkung“ im Uses-and-Gratification-Ansatz (und auch in neueren Ansätzen dazu) zentral oder versteckt vorhanden sind.

Die tatsächliche Verwendung/Operationalisierung dieses Ansatzes gestaltet sich in der Forschungspraxis als schwierig, da Menschen ihre (abstrakten) Bedürfnisse und Gratifikationsinstanzen (die sie aus Medien ziehen) nur schwer benennen können, selbst wenn sie ausführlich darüber reden können was ihnen an bestimmten Medien gefällt und nicht gefällt. Um dieses Problem zu umgehen wird vorgeschlagen von “allgemeingültigen” Konzepten menschlicher Bedürfnisse auszugehen und diese auf den jeweiligen kulturellen Kontext beziehungsweise die individuelle Situation zu übertragen. In der Praxis ist dies allerdings oft nicht möglich aufgrund der Abstraktheit dieser Konzepte (und der kulturellen Umlegbarkeit). Entsprechend wird empfohlen, diese Konzepte eher als Orientierungsrahmen zu verwenden.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Uses-and-Gratification-Ansatz versucht, die “Medienrezeption durch einen einzigen, von Rezipient[*innen] gesteuerten selektiven Prozess zu begreifen” (Merten 1984, S. 69), was nicht ausreichend ist und den Kommunikationsprozess übermäßig stark verkürzt. Dadurch werden die jeweiligen Medienproduzent*innen und -inhalte als Faktor substantiell ausgeklammert und die Situation als reines Nachfrageproblem dargestellt (Schönbach 1984, S. 63?).

Zudem wird auch die gesamt-gesellschaftliche Dimension nicht tiefer betrachtet, i.e. der Fokus liegt primär auf den Individuen un des werden keine/wenige Aussagen über die Beziehungen zwischen Gesellschaft und Medien gemacht (Schenk 1987, S. 419).

Merten 1984 (S. 81) bezeichnet den Ansatz auch als “ideologisch”, da er von komplett mündigen und entscheidungsfreudigen Rezipient*innen ausgeht, die bewusst Gratifikationsinstanzen wählen. Im spezifischen sieht er dieses Bild im Konflikt mit dem Motiv der Massenkommunikationsforschung des Massenmedienmarketings, das versucht die “Nutzer[*innen] ‘in den Griff zu bekommen’". Aus diesem Grund fand sich auch häufig implizit das Stimulus(-Organismus)-Response Modell in der Praxis, das dann hauptsächlich meist um “Motive und/oder Bedürfnisse…, Schulbildung, Alter und Geschlecht als Stör- oder Verstärkungsfaktoren” erweitert wurde (Schönbach 1984, S. 63)

AUFGABE 2.5

Begründen Sie, weshalb unter Verweis auf die ständige Veränderung des Gegenstandsbereich der Medienforschung Fragen nach universell gültigen Wirkungen von Medien bzw. Mediennutzung falsch gestellt sind und so nicht beantwortet werden können. (Bezug: u.a. S. 186f )

Als sozialwissenschaftliches Forschungsfeld sind Aussagen nur innerhalb räumlicher und/oder zeitlicher Beschränkungen verallgemeinerbar. Dies resultiert aus der Natur des Subjektes, i.e. der Gesellschaft und in diesem Fall den Medien beziehungsweise der medialen Infrastruktur, die ständiger Veränderung unterliegt und stark kulturell abhängig sind. Selbiges gilt auch für die Voraussetzungen und Begleitumstände von Medienwirkungen; sowie auch für Forschungsmethoden, -fragestellungen und -modelle, die zur Untersuchung verwendet werden.