Material: C. Karpenstein-Eßbach: Am Apparat: Telephongeschichten. In: C. Karpenstein-Eßbach: “Einführung in die Kulturwissenschaft der Medien”, S. 110-122, 2004.
Dieser Text war meine erste Übungsabgabe für die Lehrveranstaltung “Grundlagen der Kommunikations- und Medientheorie” an der TU Wien. Da ich die Inhalte allgemein interessant finde und mit euch teilen möchte habe ich sie nun hier (nach der Abgabe-Deadline) hochgeladen.
AUFGABE 1.1
(a) Weshalb setzte sich das Telefon vor 1914 im militärischen Bereich nicht breitflächig durch?
Es wurde als unvereinbar mit dem Modus Operandi des Militärs gesehen. Im Gegensatz zu dem stärker verwendeten Telegrafen, fallen beim Telefon per se keine Niederschriften an, die als Dokumentation dienen und die wiederum Fehler aufgrund schlechten Gedächtnisses reduziert und Verantwortlichkeiten klarer zu rekonstruieren erlaubt. Noch dazu war die Verwendung des Telefons schlechter zu kontrollieren, womit vermutlich Risiken für die Truppenmoral verbunden waren. Ein weiterer Unterschied zum Telegrafen war auch, das letzterer die Verschlüsselung von Übertragungen erlaubte.
Im Vergleich zu Kommunikation von Angesicht-zu-Angesicht (spezifisch werden Berichte angesprochen), wird vermutet, dass es bei der rein auf die Stimme reduzierenden Telefonie schwerer ist Dominanz auszuüben, beziehungsweise Befehlsgewalt ohnehin als uni-direktionale Kommunikation stattfindet. Vergleiche dazu auch 1.1b bezüglich der dehierarchisierenden Wirkung des Telefons, die im Widerspruch zur stark hierarchischen Struktur des Militärs stand. Erst mit den sehr statischen Grabenkämpfen an der Westfront des Ersten Weltkriegs wurde das Telefon als (lokales) Kommunikationsnetz zwischen den Stellungen verwendet um koordiniertes Agieren zu ermöglichen. Bereits davor gab es teilweise Nutzung als Kommunikationslinie zwischen unter- und übergeordneten Stellen analog zum Telegrafen.
(b) Was war der wichtigste Grund dafür, dass sich das Telefon in den USA wesentlich schneller durchsetzte als in Deutschland?
Einerseits war die Kommunikation über große Distanzen hinweg in den USA geografisch wichtiger als in Europa.
Und andererseits wurde das als dehierarchisierend wahrgenommene Telefon im Widerspruch gesehen zum hiesigen Herrschafts-/Gesellschaftssystem mit seiner Betonung der Klassenunterschiede und monologisch-hierarchischen Kommunikationsform. Anders ausgedrückt, äußert sich dies daran, dass das “Telefon wie das Automobil zu den Dingen gehört, die das Bürgertum nicht eigenhändig zu bedienen wünschte” (Flichy 1994, 200). Telefoniert wurde primär zwischen Personen unterschiedlichen gesellschaftlichen Status. Dies würde sich, soweit meine Interpretation des gegebenen Textes, erst durch den automatischen Anrufbeantworter verändern, der davon befreit kontinuierlich “am Apparat” sein zu müssen.
AUFGABE 1.2
(a) Erläutern Sie die verschiedenen Verwendungsweisen des Telefons als Massenkommunikationsmittel vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis etwa 1930. Erläutern Sie zusätzlich, inwiefern das Telefon anfangs parallel dazu auch als unidirektionales Kommunikationsmittel zur Weitergabe von Anweisungen verwendet wurde.
Eine der frühesten Verwendungen war das “Théatrophon” zur Übertragung von Opern, Konzerten, Theaterstücken und Dichterlesungen wie auch Nachrichten in Hörsälen und -räumen. Diese unidirektionale Verwendungsweise zeichnet bereits den späteren Rundfunk ab und konkurierte dann auch teils mit diesem.
Des weiteren wird das Telefon im Geschäftsleben (e.g. Banken, Logistik, Versicherungen, etc.) verwendet, allerdings primär als Kommunikationslinie in Form eines “sprechenden Telegrafen”, i.e. um Botschaften ausrichten zu lassen.
Und letzlich, ist es auch im Einsatz, um Dienstpersonal zu rufen – beispielsweise in Privathaushalten und im Hotel.
Die letzteren beiden Fälle sind dabei klar geprägt von der vorherrschenden, stark hierarchischen Gesellschaftsform (siehe 1.1b bez. “Dehierarchisierung”).
(b) Ab wann wurde das Telefon verstärkt für die private Nutzung verwendet und was waren die Gründe dafür, dass das erst vergleichsweise spät erfolgte?
Ein wichtiger Hauptgrund war die beschränkte Leitungskapazität, die sich daraus ergab, dass Telefonate manuell verbunden werden mussten (von den “Fräuleins am Amt”). Geschäftstelefonate wurden als wichtiger und legitimer eingestuft und allgemein galt das Paradigma “Fasse Dich kurz!". Erst nach der Einführung von Selbstwählsystemen, daher Telefonen mit Wählscheibe, in den 1930ern wurde erstmals beworben das Telefon auch zur Kommunikation mit Freunden und Verwandten zu verwenden.
Meiner Interpretation des Textes nach dürften auch die etablierten Gesellschaftshierarchien und die daraus resultierenden Nutzungsform als “sprechender Telegraf” ihren Einfluss haben (siehe 1.1b und 1.2a). Dies zeigt sich auch daran, dass in den USA das Telefon nicht nur im Geschäfts-, sondern auch im Privatleben schneller breite Verwendung fand (siehe 1.1b).
AUFGABE 1.3
Über den vorliegenden Text hinausgehend:
Nennen und erläutern Sie die verschiedenen Weisen, in denen die aktuelle Ausformung des Telefons, nämlich das Smartphone, als Kommunikationsmedium genutzt wird.
Hinweis: die folgenden Beispiele sind beinahe ausschließlich aus meiner persöhnlichen Nutzung beziehungsweise Beobachtungen in meinem Umfeld entnommen und daher nicht repräsentativ.
Für viele Menschen hat sich das Telefon in Form des Smartphones zum Medium/Mittel erster Wahl für einen großen Teil der gegenwärtigen Kommunikation entwickelt. Dabei deckt es so kontrastierende Kommunikationsformen ab wie beispielsweise die Konsumation von Massenmedien (e.g. Netflix), ganze Bouquets an Instant Messengern und Social Networks, sowie diverse autokommunikative Anwendungen (e.g. Evernote). Ein großer Teil dieser Verwendungsformen wurde technisch durch die Anbindung an das Internet ermöglicht und durch Entwicklungen in diesem beeinflusst. Als solches steht ein großer Teil der Kommunikationskanäle auch auf Notebooks und Standrechnern zur Verfügung. Das Smartphone unterscheidet sich dabei hauptsächlich durch die zusätzliche Sensorik (e.g. Kamera, GPS, etc.) sowie seinen Formfaktor, der noch aus FeaturePhone-Zeiten stammt und der ermöglicht es überall mit sich zu führen. Gemeinsam mit der relativ guten Netzabdeckung in städtischem Umfeld und Verfügbarkeit von freien WLANs ist eine Kultur der durchgehenden Erreichbarkeit, des “always online” entstanden und in Reaktion darauf auch eine der bewussten Nicht-Erreichbarkeit. Letzteres manifestiert sich physisch beispielsweise in Multi-SIM-Handies, die erlauben die geschäftliche SIM-Karte und die damit verbundene Erreichbarkeit in der Freizeit zu deaktivieren. Viele Anwendungen verfügen auch über die Möglichkeit die automatischen Benachrichtigungen zeit-basiert zu deaktivieren, wobei eine zentrale und damit brauchbare Steuerung dieses Verhaltens sich noch nicht auf allen Plattformen durchgesetzt hat.
Betreffend der Massenmedien hat sich ein breites Spektrum verschiedenster Formen entwickelt, über das mit dem Smartphone interagiert werden kann. Neben dem Empfang von Web-Radio-Sendungen, die vergleichbarer sind dem ursprünglichen Théatrophon/Rundfunk, sind sich auch visuellere Kanäle verfügbar. Beispiele für letztere wären Medien mit Fokus auf Video-Inhalte (e.g. Youtube, Netflix, etc.), Texte (e.g. Online-Zeitung, eBooks, etc.), sowie Bilder (e.g. Instagram) oder aber auch Mischungen daraus (e.g. Massive Open Online Courses). Diese Medien können üblicherweise auf verschiedenste Weisen konsumiert werden – als Live-Stream (e.g. Twitch), aufgenommene und gestreamte Inhalte (e.g. Youtube, Online-Zeitungen) oder als Offline-Inhalt mit vorgestelltem Download oder File-Sharing (e.g. eBooks). Die Grenzen sind hierbei allerdings fließend, beziehungsweise gibt es auch gemischte Nutzungen, unter anderem auch mit anderen Medien, e.g. der Abschluss von Sportwetten über eine Handy-App zu einem Fußballspiel, das am Fernseher der Stammkneipe läuft.
Wie bereits aus einigen der obigen Beispielen erkennbar ist, bietet sich bei diesen Massenmedien im Vergleich zu den (technisch) begrenzteren Möglichkeiten der klassischeren die Möglichkeit der intensiveren direkten Interaktion auch in Anwendungen, die mehr klassischen Massenmedien ähneln beziehungsweise mit diesen konkurieren. So ist es etwa möglich Inhalte zu raten, kuratieren, kommentieren beziehungsweise zu diskutieren, sowie aber auch ohne größere Umstände eigene Inhalte für ein breites Publikum bereit zu stellen. Letzteres stellt eine gewisse Demokratisierung / Dehierarchisierung des Veröffentlichungswesens dar, das historisch durch Verlagshäuser und große Studios geprägt ist. Im historischen Kontext können beispielsweise Leser*innenbriefe als Vorgänger dieser Interaktivität gesehen werden.
Bezüglich der Größe des Publikums am anderen Ende des Spektrums stehen autokommunikative Kanäle. Als ständige*r Wegbegleiter*in mit vielfältiger Sensorik wird es von vielen in der Rollen eines Notiz- und Skizzenblockes, Journals, Kalender, Todo-Liste, Diktiergeräts, sowie Foto- und Videoapparats verwendet. Alle davon stellen eine fortwährende Integration anderer Kommunikationsmittel in das eine Gerät des (Smart)Phones dar. In jüngerer Zeit hat sich als autokommunikative Kultur die des Quantified Selfs entwickelt. Diese verwendet vor allem Fitnesstrackern und Smartphones als Schnittstellen um Gesundheitsrelevantes wie sportliche Aktivitäten, Ernährung, Schlaf aber auch Dinge wie persönliche Buchhaltung und Arbeitszeiten zu aufzuzeichnen. Der Grundgedanke dabei ist einer der Selbstoptimierung, allerdings üben beispielsweise zunehmend Versicherungen Druck aus um Zugriff auf diese Daten zu erhalten (“Secondary Use”).
Letztlich, und auch näher an der Grundfunktion des Telefonierens, gibt es eine breite Paletten der bidirektionalen Kommunikation mit Einzelpersonen und variierend großen Gruppen (wobei, wie oben erwähnt, selbst Massenmedien zunehmend interaktiv werden). Aus der ursprünglichen Telefonie heraus hat sich Internettelefonie entwickelt, dass erlaubt übliche Mobiltarife und die Verfügbarkeit von WLANs besser auszunutzen – VoIP-Minuten sind üblicherweise billiger als Telefonie-Minuten, vor allem wenn Roaming-Kosten anfallen oder Kosten im WLAN ganz vermieden werden können. Zusätzlich erlaubt Internettelefonie Verschlüsselung zu verwenden, was für Privacy-Aware Menschen ein wichtiger Faktor sein kann.
Beinahe alle dieser Internettelefonie-Anwendungen bieten auch besser verwendbare Schnittstellen für Gruppenkonversationen. Zusätzlich bietet sich mit dem SmartPhone im vergleich zu seinen Vorgängern die Möglichkeit zur Video-telefonie und damit zu einem deutlicheren reicherem Kommunikationskanal, der zu einem Medium, dass intensiv in Fernbeziehungen genutzt wird und auch im geschäftlichen Kontext für Telekonferenzen Anwendung findet.
Die meisten dieser Internettelefonieanwendungen biete die Möglichkeit für textuelle Nachrichten und gehört damit zur immens umfangreichen Bandbreite an (Instant) Messengern, die als Fortführung von textuellen Medien wie Brief, Telegraf, Fax und SMS verstanden werden können. Oft sind bereits eine größere Menge dieser Messenger vorinstalliert beim Kauf des Geräts (e.g. Facebook-Messenger, WhatsApp, SMS, E-Mail). Dabei werden diese meistens für unterschiedliche, teils überlappende Zwecke und Kommunikation mit unterschiedlichen, teils überlappenden soziale Umfeldern verwendet. In meinem Fall wären dies beispielsweise SMS für alte Kontakte, das vorinstallierte WhatsApp mit der nicht tech-affinen Familie, OkCupid zur Kontaktaufnahme beim Dating, Telegram aufgrund seiner Sticker/Emoji mit Partner*innen, Signal aufgrund seiner Verschlüsselung mit anderen Informatiker*innen, Steam durch seine Doppel-Rolle als Spieleshop und IM mit Gaming-Kolleg*innen, E-Mail (das hier entfernt zur Kategorie gezählt werden kann) zur asynchroneren Kommunikation beziehungsweise ersten Kontaktaufnahme, etc.
An einer interessanten Schnittstelle zwischen den bidirektionalen Messengern und Massenmedien stehen hierbei Social Networking Services, die gleichzeitig gleichermaßen Publikationsmedium für Inhalte, Selbstdarstellungsmöglichkeit, Messaging-Plattform und sozialer sowie automatisierter Filter für den Strom an massenmedialen Inhalten anderer Plattformen. Wie bei Messengern unterscheiden sich auch hier die Themen und Umfelder (e.g. Facebook für informelles, LinkedIn für geschäftliches, ResearchGate für akademisches)
Zusätzlich, gibt es auch noch Medien/Anwendungen, die formeller sind und Kommunikation sowohl einschränken als auch effizienter gestalten können, wie beispielsweise Shopping-Apps, Bonniersysteme in der Gastronomie, Projektmanagement-Tools (e.g. digitale Stechuhren), File-Sharing, Multi-Player Spiele, Second Factor in Two-Factor-Authentication, etc. Durch ihre Spezialisierung und Formalismen sind diese Plattformen üblicherweise stark eingeschränkt/fokussiert in ihrem Nutzungsfeld.
Des Weiteren finden sich inzwischen auch simple Musikinstrumente und Sampler am Smartphone – gegebenenfalls mit ansteckbaren Peripherie-geräten – die spontane Jam-Sessions erlauben.
Zudem kann das Smartphone mittels verfügbarer Dienste auch rudimentär die Rolle eine*r Übersetzer*in einnehmen (e.g. via Google Translate).
In einigen Fällen ist die Schnittstelle des Geräts beinahe ein Kommunikationspartner für sich, wie beispielsweise bei der Sprachsteuerung und -eingabe via Siri, Google Now beziehungsweise Cortana.
Weiters:
Welche über die Kommunikation hinausgehenden Aufgaben und Funktionen übernimmt das Smartphone gegenwärtig sonst noch – bitte erläutern Sie Ihre Antwort ausreichend ausführlich und verdeutlichen Sie Ihre Antwort an Beispielen von Nutzungssituationen.
Je nach (Umfang der) Definition von Kommunikation, im spezifischen ob Autokommunikation als solche gesehen wird, fällt diese Sektion relativ kurz aus. Allerdings gibt es auch hier eine Bandbreite an Tools, die ins SmartPhone integriert wurden beziehungsweise dort entstanden. So hat es inzwischen seperate Taschenrechner relativ obsolet gemacht, erlaubt Navigation mit verschiedensten Transportmitteln, dient als Taschenlampe, als Spiele-Plattform (für Single- wie Multi-Player Spiele), etc. In einigen Fällen gäbe es zwar eine Integration eines Tools/einer Funktion, aber andere Formen werden bevorzugt. Als sehr spezifisches Beispiel, gibt es etwa Spielwürfel-Apps, die aber meiner Erfahrung nach nur als Notlösung herhalten, da Spieler*innen die Haptik tatsächlicher Würfel bevorzugen, beziehungsweise auch Misstrauen (bezüglich Manipulation) und Aberglaube eine Rolle spielt.
Sehr viele andere Werkzeuge stellen eine Vorstufe zur Kommunikation dar beziehungsweise können als Teil des größeren Kommunikationsprozesses gesehen werden. So bietet das SmartPhone etwa die Möglichkeit zur Aufnahme und Nachbearbeitung von Fotos, die üblicherweise dann als Erinnerung dienen, daher Autokommunikation sind oder mit anderen geteilt werden. Ähnliches gilt auch für andere (kreative) Werkzeuge/Anwendungen.